Mit dem Begriff des »Intimen« versucht Jullien eine Form der Liebe in den Blick zu bekommen, die sich erst im vergangenen Jahrhundert erschlossen hat und immer noch unscharfe Konturen aufweist.
Das laute »Ich liebe dich« macht aus der Leidenschaft ein Ereignis, das sich schon bald verschleißen wird und zuvor noch nach einer Erklärung verlangt. Der diskrete Verlauf des Intimen bringt hingegen in aller Stille die Grenze zwischen dem Anderen und einem selber zu Fall, lässt aus einem gleichgültigen Außen in ein gemeinsam geteiltes Inneres kippen, lebt unerschöpf ich von den Kleinigkeiten des Alltags und kann als Prinzip einer neuen Moral dienen.
»Intimus« besagt auf Latein so viel wie ›am innersten‹. Man bringt aber das Innerste seiner selbst nur zum Vorschein, indem man sich, wie Augustinus uns zeigt, dem Außen des Anderen öffnet. Wir werden auf dem Weg von Augustinus zu Rousseau und Stendhal verfolgen, wie dieses Intime sich in Europa von Gott auf das Menschliche überträgt. (François Jullien)
Erwin Landrichter iist Übersetzer in Wien und Maria Laach am Jauerling.