Die Bedrohung durch das Covid-19-Virus wird uns nicht nur als globaler Gesundheitsnotstand in Erinnerung bleiben, sondern auch als Verschärfung der bestehenden demokratischen und staatspolitischen Krisen.
Im Namen der öffentlichen Gesundheit hat sich in vielen Ländern ein Regierungsstil durchgesetzt, dessen Angelpunkt der Erlass von Notverordnungen von zweifelhafter verfassungsmäßiger Richtigkeit war. Der Ausnahmezustand ist zum Normalzustand geworden. Einer der Ersten, der gegen diese Entwicklung seine Stimme erhob, war der heute bedeutendste Theoretiker der Staatskrisen, Giorgio Agamben.
Seine anfängliche Empörung geht im Verlauf seiner Wortmeldungen, die hier nachzulesen sind, in die tiefere Analyse der neuen politischen Konstellation der »Biosicherheit« über: eine Verbindung des juristisch-politischen Dispositivs des Ausnahmenzustands mit der Wissenschaft, insbesondere einer sakralisierten Medizin, und den digitalen Technologien.
Auch wenn dieser Ausnahmezustand irgendwann wieder vorbeigehen mag, bleibt die beängstigende Evidenz, dass eine Gesellschaft, die im ständigen Ausnahmezustand lebt, keine freie Gesellschaft sein kann. Was auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als die Abschaffung des öffentlichen Raums, der persönlichen Beziehungen, der Versammlungsfreiheit, der religiösen Freiheiten und noch mehr. Nichts weniger als das hat Agamben vorausgesehen.
Federica Romanini studierte Philosophie in Triest und lebt als Übersetzerin für Deutsch, Italienisch und Englisch in Wien (http://www.federicaromanini.com).
René Scheu, geb. 1974, hat an der Universität Zürich promoviert und ist leitender Redakteur des Feuilleton-Teils der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).