Sportdiktatur
Bewegungskulturen im nationalsozialistischen Österreich
Damit bleiben aber auch die Schaffung von »Alltag« und die Weiterführung von »Normalität« weitgehend theoretisch unreflektiert. Am Beispiel des Sports ist abzulesen, wie die Mikrostruktur des Regimes tatsächlich funktioniert.
Nicht Instrumentalisierung prägte den Sport und andere Popularkulturen der NS-Zeit, sondern eine vom Regime kontrollierte, aber nicht völlig definierte Aushandlung von Interessen. Sportdiktatur ist die enge Verzahnung des Regimes wie auch weiter Bevölkerungsteile mit Bewegungskultur. In einer Grauzone ergeben sich dabei Freiräume, die den alltäglichen Umgang mit dem Regime nicht auf absolute Zustimmung oder Widerstand reduzieren: Für alle, die dazu gehörten und dazu gehören durften, bot das Leben im Nationalsozialismus trotz Holocaust und Weltkrieg auch Angebote einer angenehmen, selbstbestimmten und sogar vergnügten Existenz. Die Wahrnehmung dieser Aspekte der Diktatur ist nötig, um die Ablehnung des Nationalsozialismus von der affektiven Ebene sinnentleerter Metaphern, wie sie heute wieder in vielen Jugenddiskursen zum Nationalsozialismus zu finden sind, auf eine feste und argumentative Basis zu stellen.
Dieser Band bietet eine umfassende Darstellung des Sports in der »Ostmark«: Breiten- und Spitzensport, Massen- und Minderheitensport, Vereins- und Jugendsport sowie der Sport der Formationen. Zum Vergleich dienen drei konkrete Zeitpunkte: die Monate nach dem »Anschluss«, die Zeit rund um den Kriegsbeginn und schließlich die Endphase des Regimes nach Stalingrad.